Monika Herzig und Peter Kienle – The Time Flies
Ob der Name des Saxofonisten Bob Berg eines Tages in den Annalen des Jazz neben den ganz Großen seiner Zunft die Unendlichkeit verbringen wird, ist zumindest ungewiss. Dass sein früher Tod 2002 einen definitiv großartigen Spieler aus der Musikwelt gerissen hat, dokumentiert das neue Jazz-Fusion-Album von Monika Herzig und Peter Kienle nachdrücklich.
The Time Flies ist Berg at his best. Und nicht nur er. Oder das.
The Time Flies ist kein Berg-Tribute-Album, sondern eine produktionstechnische Finesse, wie sie nur selten gelingt. Ein homogenes, bruchloses Ergebnis, dem man die semi-artifizielle Entstehung in keiner Weise anmerkt.
Als Monika Herzig (pi) und Peter Kienle (git) 1998 mit Berg im Studio waren, entstanden die Aufnahmen der ersten drei Stücke auf The Time Flies: Berg im Fokus. Unvollendet damals, wurden die Original-Tonspuren erst jetzt, für die Produktion des Albums, wieder in die Hand genommen. Diese Saxofon-Tracks blieben unangetastet, wurden frei gelegt, kompositorisch neu gerahmt und eingespielt. Live im Studio, keine Overdubs! Eine Session mit einem Solisten, der, wenngleich physisch nicht mehr existent, dennoch ganz gegenwärtig war. Eine Art Live-Remix mit kompletter Band.
Seit 1988 arbeiten Herzig und Kienle in der US-Jazzszene als Komponisten, Arrangeure und Bandleader. Zwischen der Produktion eigener Alben arbeitet das Paar auf der Bühne und im Studio für stilistisch unterschiedliche Anspruchsträger wie Leni Stern, Rufus Reid, Tower of Power und Sting.
Als sie auf Bob Berg treffen, ist der längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. 1951 geboren in Brooklyn/NYC, wechselte er als 13-Jähriger vom Klavier zum Saxofon, studierte es und spielte ab ’73 bei Leuten wie Horace Silver, Gary Burton, Randy Brecker, Wolfgang Muthspiel, Barbara Dennerlein und Chick Corea. Als Miles Davis ihn 1985 in seine Band holt, steigt der gute Ruf des profilierten, hingebungsvollen Spielers mit Substanz und Bandbreite sprunghaft an. Be-Bop, R&B und Fusion, Charlie Parker, Wayne Shorter, David Sanborn – all das verschmilzt bruchlos in Bergs eigenem, reifen Profil.
So ist der Fusionjazz auf The Time Flies. Funkyness, auch mal rockig unterfüttert. Grooves zwischen New York und New Orleans, lose balancierende Balladen, freier Fall. Gerade und ungerade, Improvisation und Komposition fließen beständig in- und umeinander. Melodiös und vollmundig, ohne die natürliche Eleganz der Musik in zuckerigen Arrangements zu ersticken. Im Gegenteil: Die Sache hat Luft und Raum, lebt, kommuniziert, zeigt Form und Schatten, ist „echt“.
Dass sich diese „alte“ Musik hier so gar nicht ältlich anfühlt, liegt an der kollektiven Arbeit musikalischer Individuen als Band: Eine junge, selbstbewusste Rhythmusgruppe aus Quinn Sternberg (b) und Josh Roberts (dr), ausgereifte Kompositionen, Arrangements und Instrumentalarbeit von Herzig und Kienle – und nicht zuletzt drei weitere Saxofonisten, die auf den drei Tracks zu hören sind, auf denen Bob Berg nicht spielt. Keiner wie der andere, co-agiert doch jeder einfühlsam auf Komposition und Mitspieler.
Lutz Häfner (*1972) spielte im Bundesjugendjazzorchester unter Peter Herbolzheimer und der deutsch-französischen Band von Albert Mangelsdorff. Der Bandleader und Komponist war mit u. a. Till Brönner, Joo Kraus, Adrian Mears, Chuck Leavell und Ron Spielman auf Tour. Er hat als Arrangeur und Produzent für Roger Cicero, Max Herre oder Die Fantastischen Vier gearbeitet, als Studiomusiker Sarah Connor begleitet und Tony Marshall überlebt. Soulful bis ins Mark, spürbar offen ist sein Spiel, ernsthaft und hingegeben und erinnert in seiner Helligkeit an etwa Joe Henderson und Wilton Felder.
Ein auffallend narratives Moment zieht sich blanko durch den Fluss des Grenzverweigerers Peter Lehel (*1965), während die Intonation von Phil Woods und Michael Brecker im Subtext schwingt. Lehel ist mit renommierten Musikern wie dem Ungarn Oláh Kálmán, dem kubanischen Latin-Jazz-Star Paquito D’Rivera und Monika Herzigs Acoustic Project aufgetreten, hat aber auch Musik für Jazzsolisten mit Kammerorchester und Streichquartett geschrieben und mit Klarinettistin Sabine Meyer, Posaunist Henning Wiegräbe und Euphoniumspieler Steven Mead realisiert.
Anders als Häfner und Lehel, deren Namen hierzulande seit Langem guten Klang haben, macht der von Sandi Kuhn (*1981) just die Runde, im Kühntett, in der Barbara Bürkle Band und der Christoph Neuhaus Group. Joe Lovano und Joshua Redman sitzen fest und gerade in der kraftvollen und bestechend lässigen Intonation des Berklee-Absolventen; “… zarte, kohärente Klänge von geradezu magischer Sogkraft” hat das Jazzpodium auf The Ambiguity Of Light ausgemacht, dem aktuellen Album von Kuhns eigener Combo.
Funk or flow – Bob Berg dürfte sich hier wohlgefühlt haben.
(Rolf Jäger)
(12″ Vinyl 180g, limitierte Auflage, € 20,- zzgl. Versand, FTR361302)
Recorded, mixed & mastered by Michael Fetscher at White Fir Studio, Germany
Lacquer Cut by Daniel Krieger at SST-FFM
Coverdesign by Rob Stirner & Florian Dobler
Produced by Michael Fetscher & Lothar Landenberger