Live-Album als Dokument einer besonderen Freundschaft
Olivia Trummer (Flügel, Gesang) und Hadar Noiberg (Flöte, Effekte): “The Hawk”
“Wir haben unser erstes gemeinsames Album aufgenommen, ohne es zu bemerken”, sagt Olivia Trummer. Die ungewöhnliche Geschichte der aus Stuttgart stammenden Pianistin, die im März mit dem Landesjazzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet wurde, und der Flötistin Hadar Noiberg handelt von der Schönheit des Moments. Der Sound, die Stimmung: Beim Hauskonzert, das die beiden Musikerinnen im Herbst vergangenen Jahres im beschaulichen Dorf Steinhilben auf der Schwäbischen Alb gaben, passte einfach alles. Ein Glück, dass Michael Fetscher – wie immer bei den “Grooves Kaffee & Kuchen Sessions” in seinem Holzhaus, das ein faszinierendes, bewohntes Tonstudio ist – alles mitgeschnitten hat. Die zwei Mal 32 Minuten Tonband haben den Mann, der sich auf analoge Aufnahme-Technik spezialisiert hat, ebenso begeistert wie die beiden Musikerinnen: Unter dem Titel “The Hawk” veröffentlicht Fetschers Label Flavoredtune Records acht ausgewählte Stücke des Live-Recordings – pur, ohne Schnitte, ohne technische Verfälschungen, vom Tonband direkt auf die Rille.
Der Zufall hatte die beiden Musikerinnen im Mai 2018 in Berlin zusammengeführt. “Aufgrund der herrlichen Chemie zwischen uns – persönlich und musikalisch – haben wir uns entschieden, uns in Form eines Duoprojekts auszuprobieren”, erzählt Olivia Trummer. Im September kam Hadar Noiberg, New Yorkerin mit israelischen Wurzeln, für zwei Wochen nach Deutschland. “Die ersten paar Tage haben wir viel geprobt, Stücke zusammengetragen und ausprobiert, alles ganz organisch”, schildert Olivia Trummer den Beginn der Zusammenarbeit, die in drei Hauskonzerte mündete – eines davon war das folgenreiche im Studio WhiteFir bei Michael Fetscher. “Ursprünglich hatten wir gar nicht geplant, schon ein Album aufzunehmen”, berichtet Olivia Trummer. “Der Auftritt war eher als Probeauftritt und Sammlung von Promo-Material gedacht. Beim Hören des Mitschnitts wurde uns jedoch klar, dass da eine besondere Energie eingefangen wurde und viele der Stücke – trotz der kurzen Vorbereitungszeit von neun Tagen – schon absolut reif waren. Daher haben wir uns entschieden, daraus unser Debut-Album entstehen zu lassen.”
Klassische Klarheit, der impulsive Groove und die harmonische Coolness des Jazz, die spielerische Leichtigkeit des Pop, die typische Melodik des Orients: Die Musiksprachen der beiden Künstlerinnen werden zu einer gemeinsamen. Olivia Trummer und Hadar Noiberg sind begnadete Erzählerinnen, der Tonfall ihrer Kompositionen und Arrangements ist warm und leicht, melancholisch auch, bisweilen herb und kantig, nie aber schroff, abweisend oder unzugänglich. Bisweilen wird zitiert, die Beatles etwa, aber nie kopiert. “Here comes the Sun”, singt Olivia Trummer sanft und leise, und schafft damit eine intime Atmosphäre, in der sich Hadar Noiberg in zauberhaften Flötenvariationen entfalten kann und dabei auch ihren versierten Umgang mit Effekten und Loops unter Beweis stellt: Vielschichtig und zugleich ungemein transparent und leicht überlagern sich melodische und rhythmische Elemente. Eine weitere großartige Bearbeitung ist die des Volkslieds Beit Ha’arava“ aus Hadar Noibergs Heimat Israel. “Darin geht es um ein Wunder: In einer lebensfeindlichen Umgebung, der Wüste, ist es durch die Kraft der Liebe und des Glaubens gelungen, einen Wald heranzuziehen”, erzählt die Flötistin.
Das Duo versteht es, lyrische Bilder in Tönen zu malen, die die Seele streicheln, wie zum Beispiel in Olivia Trummers titelgebendem Stück “The Hawk”, in dem Hadar Noiberg der Fantasie virtuos Flügel verleiht. In ihren Eigenkompositionen geben die beiden Einblicke in ihre Persönlichkeit, ihre Empfindungen und Erinnerungen an Erlebtes: Lieder ohne Worte, die den Zuhörer auf einer emotionalen Ebene erreichen und inspirieren. Ihr Stück „Moena“ etwa hat Olivia Trummer nach einem kleinen Städtchen in den Dolomiten benannt, wo sie vor zweieinhalb Jahren ihr erstes Konzert in Italien gab und eine berührende Begegnung machte. Hadar Noiberg offenbart in “Privacy” und “Triste” eine nach innen gewandte, zarte und verletzliche Seite.
Ist die musikalische Sprache des Duos – im Jazz sind komponierende Frauen und Bands ohne Männer noch seltener als in anderen Genres – eine spezifisch feminine? “Hadar und ich haben vieles gemeinsam, dazu gehört auch unsere Weiblichkeit und die damit verbundenen Erlebnisse und Eigenschaften”, sagt Olivia Trummer. “Ich habe das Gefühl, dass wir beide gegenüber unseren Eigenkompositionen eine Art „Muttergefühl“ verspüren, eine spezielle, liebevolle Art der Verbundenheit, beinahe Zärtlichkeit.” In jedem Fall ist der Klang des Duos das Produkt einer innigen Freundschaft. Man hört die Vertrautheit der beiden Frauen, wenn sie sich musikalisch begegnen, ihre Improvisationen sind nicht Wettstreit, sondern Dialog, in dem sich zwei Gesprächspartner einander öffnen und auch gegenseitig zuhören können. “Ich freue mich sehr über dieses Projekt, das auf natürliche Weise ein Stück weiblicher, kreativer Stärke verkörpert und dadurch vielleicht ein Zeichen setzt und speziell auch junge Musikerinnen ermutigt”, sagt Olivia Trummer.
(Marion Schrade)
Olivia Trummer, Pianistin, Sängerin und Komponistin, wurde 1985 in Stuttgart geboren und studierte an der Musikhochschule ihrer Heimatstadt Jazzklavier und klassisches Klavier. 2008 setzte sie ihre Ausbildung mit einem Studium an der Manhattan School of Music in der Jazz-Metropole New York fort, seit ihrer Rückkehr lebt sie in Berlin. Im März 2019 wurde sie mit dem mit 15.000 Euro dotierten Landesjazzpreis Baden-Württemberg ausgezeichnet.
Hadar Noiberg, Flötistin, Komponistin und Arrangeurin, wurde in Israel geboren und zog im Alter von 21 Jahren nach New York, wo sie inzwischen eine feste Größe der Jazz- und Weltmusikszene ist. Sie wurde mit dem Award der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP) geehrt.